Die goldene Regel

Der Tausch ist eine Grundfunktion der menschlichen Gesellschaft: Egal ob Information,
Waren, Devisen oder zwischenmenschliche Zuwendung – wir sind, also tauschen wir. Der
Begriff „Globalisierung“ beschreibt den Prozess, der diese Tauschoperationen zunehmend
über den ganzen Erdball hinweg ermöglicht. Innerhalb von fünf Minuten können von einem
Schreibtisch in Wien Simmering aus mit der Tante in Amerika chatten, unser Geld in Vietnam
investieren und ein Strandhotel in Ghana buchen.
Nun beruht jeder Tausch auf Regeln. Zum Beispiel: Herbert will sein altes Auto verkaufen,
Walter will es kaufen. Sie müssen sich nun auf einen Preis einigen, der beiden angemessen
erscheint. Das ist eine in allen Rechtsstaaten gültige Regel. Wenn Herbert ein schmächtiger
Rentner ist und Walter ein ehemaliger Profi-Boxer, dann könnte Walter diese Regel auch
einfach ignorieren und Herbert das Auto mit Gewalt wegnehmen. Die Anerkennung von
Eigentum ist demnach die Grundlage jedes Tausches. Weil das eine Regulierung ist, gibt es
grundsätzlich keinen völlig deregulierten Markt. Zumindest das Eigentumsrecht muss in jeder
Marktwirtschaft erhalten bleiben.
Wenn nun Walter das Auto stiehlt, also die Regel bricht, dann ist das ein Fall für Polizei
und Gerichte. Ihre Aufgabe ist es, den Regelverstoß zu bestrafen und Rechtssicherheit
herzustellen. Das sollte nicht mit Gerechtigkeit verwechselt werden, wird aber den meisten
Menschen dennoch als gerecht erscheinen. Warum? Weil diese Regel für beide Beteiligten
gilt. Polizei und Gerichte würden auch einschreiten, wenn Herbert Walter bestiehlt, es
herrscht also eine faire Ausgewogenheit, Justitia ist blind.
Nur: Was ist, wenn die Regeln nicht ausgewogen sind? Oder wenn Rahmenbedingungen,
die indirekt auf unser Tauschgeschäft wirken, verändert werden? Herbert und Walter müssen
sich beim Tausch auf einen Preis einigen, der beiden angemessen erscheint. Was angemessen
ist, bestimmt in unserem Wirtschaftssystem das Spiel von Angebot und Nachfrage. Wird das
Autobahnnetz konsequent ausgebaut und der öffentliche Verkehr kaputt gespart, so wird
vermutlich die Nachfrage nach Autos steigen und den Preis für Gebrauchtwagen heben. Ein
Vorteil für Herbert. Wird aber gleichzeitig die Mehrwertsteuer auf Autos gesenkt, so könnte
es für Walter günstiger sein, gleich einen Neuwagen kaufen. Der Preis von gebrauchten Autos
wird also sinken, Vorteil Walter.
Nehmen wir nun an, sowohl Herbert als auch Walter kennen die Leute, die die Regeln
machen, gemeinhin „Gesetzgeber“ genannt. Herbert könnte sich nun – aus purem
Eigeninteresse – dafür einsetzen, Neuwagen steuerlich zu belasten, während Walter bei seinen
Freunden auf eine Senkung der selben Steuern drängt. Das nennt man Lobbyismus und das
Ergebnis dieses Prozesses nennt man Reform, Novelle, Anpassung oder Standortsicherung.
Aber wer wird sich durchsetzen? Der, der die besseren Argumente hat? Das wäre perfekt,

aber wer entscheidet über das bessere Argument? Also der, der den größeren Teil der
Bevölkerung auf seiner Seite hat? Das wäre immer noch schön und würde Demokratie
genannt werden. Aber letztlich ist es einfach der, der größeren Einfluß auf die
„Regelmacher“ nehmen kann – etwa, weil er sie regelmäßig bei Konferenzen trifft, auf
Jachturlaube einlädt oder mit Jobs und Nebenjobs versorgt.
Frank Stronach, austro-kanadischer Milliardär und guter Freund der heimischen politischen
Kaste, hat einmal zu einem Journalisten gesagt: „Kennen Sie die Goldene Regel? Wer das
Gold hat, macht die Regel.“
Dabei ging es zwar nur um Stronachs Verhältnis zu einem Fußballklub, dessen
Hauptsponsor und Präsident er war, in der österreichischen Öffentlichkeit wurde diese
Aussage dennoch nicht gerade goutiert. Natürlich, Geld regiert die Welt, das weiß man ja.
Aber wenn jemand ganz ungeniert damit protzt, sich Regeln kaufen zu können, hat das etwas
nicht nur vage bedrohliches. So jemandem fühlt man sich nicht nur unterlegen, so jemandem
ist man unterlegen.
Natürlich funktionieren nicht nur private Autoverkäufe nach Regeln, sondern die ganze
Weltwirtschaft. Das Wort “Globalisierung“ bezieht sich nicht nur auf den ständig steigenden
Vernetzungsgrad der Menschen durch erhöthe Transportkapazitäten und neue Kommuni-
kationstechnologien, sondern auch auf ein weltweites Regelwerk dafür, wiediese Vernetzung
funktioniert. Tatsächlich gab es die globale Schifffahrt schon vor 500 Jahren und ein
weltumspanndendes Telegrafennetz bereits vor 100 Jahren. Was die derzeitige Globalisierung
davon unterscheidet, sind die internationalen Verträge, die eine neue Qualität erreicht haben.
Egal ob es um den Welthandel mit Industriegütern, landwirtschaftlichen Produkten oder
Dienstleistungen handelt oder um die Regulierung der Finanzmärkte – noch nie gab es ein
derart komplexes Regime von Institutionen und Abkommen, die ökonomische
Tauschbeziehungen weltweit regeln, wie jetzt.
Diese Regeln werden zwischen Menschen, zumeist Regierungen, ausgehandelt. Auch hier
gilt: Wer das Gold hat, macht die Regel. Und das Gold haben vorwiegend die Nord-
amerikaner und Westeuropäer…
Das Grundprinzip, nach dem die EU und die USA die internationalen Abkommen zu
formen trachten, ist recht simpel. „Das Gesetz ist der Freund des Schwachen“, hat Friedrich
Schiller einmal bemerkt. Daraus folgt: Dort, wo man schwach ist, besteht man auf strenge
Regeln, sucht Schutz etwa durch Zölle oder Subventionen. Dort, wo man stark ist, versucht
man das Regelwerk auszuhöhlen oder abzuschaffen. Deregulierung heißt das dann, oder
Handelsliberalisierung. In einem Markt ohne Regeln kann man davon ausgehen, dass der
Stärkere gewinnen wird.
Europa sieht sich derzeit gerne als so etwas wie das freundliche Gesicht des Westens oder
Amerikas besser erzogene Schwester. Wir haben den Kyoto-Prozess vorangetrieben, setzen
auf die UNO und Multilateralismus und Diplomatie, foltern weniger, drohen anderen Ländern
nicht öffentlich plump mit Gewalt und wenn wir doch wo einmarschieren, dann immer in der
zweiten Reihe. Gut, die Briten sind da etwas forscher als die anderen, aber die sind auch
innerhalb der EU recht renitent und eigentlich schon fast Amerikaner.
Leider stimmt dieses Bild nicht mit der Wirklichkeit überein. Die Europäische Union agiert
auf den Weltmärkten und in internationalen Institutionen kaltherzig und extrem aggressiv.
Hinter dem freundlichen Lächeln blitzen scharfe Zähne. Beispiele gefällig?
Das General Agreement on Trade in Services (GATS) ist ein Liberalisierungsabkommen
für Dienstleistungen und eine der tragenden Säulen der Welthandelsorganisation WTO. Da
europäische Unternehmen in den Dienstleistungsbranchen global den Ton angeben, ist das
GATS vor allem für die EU von besonderer Bedeutung: Sie will Konzernen wie RWE, E.on,
EdF, ENEL, Suez, Veolia, Vodafone, Deutsche Telekom oder Deutsche Post die Tore zu
neuen Märkten öffen.
Das Abkommen besteht aus zwei Teilen: Dem Vertrag, der die Liberalisierungsregeln
enthält, und einer Liste, auf der steht, welche Branche in welchem Land unter welchen
Erbringungsbedingungen unter das GATS fällt.
Der Vertrag hat es in sich. Er erlaubt, gegen so genannte „Handelshemmnisse“, also
Gesetzte, die den Marktzugang regulieren, zu klagen. Für neue Gesetze sieht er gar einen
Notwendigkeitstest vor. Beschließt also zum Beispiel ein Land höhere Umweltstandards für
einen Bereich, den es bereits im GATS „geöffnet“ hat, so muss es die Notwendigkeit dieser
Maßnahe beweisen – präventive Maßnahmen, etwa gegen den Klimawandel oder den Einsatz
von Gentechnik, sind damit praktisch unmöglich. Damit geht auch hier die
Regulierungsspirale nur in eine Richtung: Nach unten. In Artikel XIX heißt es: „Entsprechend
den Zielen dieses Übereinkommens treten die Mitglieder in aufeinander folgende
Verhandlungsrunden ein, die […] regelmäßig stattfinden, um schrittweise einen höheren Stand
der Liberalisierung zu erreichen. Die Verhandlungen zielen darauf ab, die nachteiligen
Auswirkungen von Maßnahmen auf den Handel mit Dienstleistungen zu vermindern oder zu
beseitigen, um dadurch einen effektiven Marktzugang zu erreichen.“
In jeder dieser Verhandlungsrunden soll also die Liste der geöffneten
Dienstleistungsbranchen länger und umfangreicher werden. Ein Ende dieser
Verhandlungsrunden ist im Vertrag nicht vorgesehen.  Ziel des GATS ist die totale
Liberalisierung und Deregulierung aller Branchen in allen Mitgliedsländern und allen
Erbringungsmodi. Zwar kann man eine liberalisierte Branche theoretisch wieder aus dem
GATS herausnehmen, aber nur mit einstimmiger Genehmigung der anderen 149 WTO-
Länder – und die gibt’s nicht kostenlos. Jedes Land wird dabei die Interessen seiner Konzerne
berücksichtigen und notfalls ein Veto einlegen. De facto kann man aus dem GATS also nur
wieder herausnehmen, was ohnehin nicht umkämpft ist.
Das Problem für die europäischen Konzerne: Der GATS-Vertrag ist seit 1995 gültig – aber
die dazugehörige Liste ist noch ziemlich leer. Die derzeitige Verhandlungsrunde mit dem
Namen GATS2000 will und will nicht vom Fleck kommen.
Dabei hat alles ganz gut begonnen. Die Europäische Kommission und die nationalen
Regierungen luden Wirtschaftsvertreter ein, ihre Wünsche bekannt zu geben: Welche Branche
in welchem WTO-Land soll geöffnet werden? 2002, zu einem Zeitpunkt, als die meisten
nationalen Parlamentarier in den EU-Mitgliedsländern vom GATS noch nicht einmal gehört
hatten, stapelten sich in den Wirtschaftsministerien schon die Wunschzettel. Diese gingen
dann nach Brüssel, um eine gemeinsame EU-Position zu erarbeiten, dann wieder zurück in die
Wirtschaftsministerien zur Kontrolle, dann wieder nach Brüssel. Als Gegenstück zu dieser
Forderungs- oder Request-Liste erarbeiteten Kommission und Regierungen auch eine
Angebotsl- oder Offer-Liste. Darin wurden jene Branchen gesammelt, die Europa bereit war,
für die internationale Konkurrenz zu öffnen.
Die ganze Zeit über blieben diese Dokumente geheim, es gab nur zwei Exemplare pro
Land, jedes mit kleinen individuellen Markierungen versehen, um ein etwaiges Leck
ausforschen zu können. In ganz Europa schlossen sich damals NGOs und Gewerkschaften
zusammen, um die Offenlegungen dieser Listen zu erreichen – zunächst vergeblich. In
Österreich ließ sich ein Beamter bei einer Informationsveranstaltung zu dem
bemerkenswerten Satz hinreißen: „Wenn wir euch die Liste geben, dann diskutiert ihr über
Sachen, die noch gar nicht beschlossen sind.“ Da schau her, ja dürfen’s denn des?
Als die Listen schließlich doch durchsickerten, war schnell klar, warum auf Geheimhaltung
so viel Wert gelegt worden war. Die Angebotsliste war recht kurz (natürlich, zu Beginn von
Verhandlungen bietet man ja möglichst wenig), die Forderungsliste dafür umso länger. An
109 Länder, darunter viele der ärmsten der Welt, wurden umfangreiche Wünsche adressiert.1
Allein 72 Staaten wurden aufgefordert, ihre Trinkwasserversorgung zu öffnen. Der
Hintergrund: französische und deutsche Konzerne dominieren diesen Markt weltweit.
Das GATS bietet eine einmalige Gelegenheit, auf den sensiblen Wasserbereich einen
Großangriff zu starten. Denn bisher musste beinahe jeder einzelne Markt in der dritten Welt
einzeln geknackt werden. Eines der besten Beispiele, wie das geht, lieferte die Privatisierung
der Wasserversorgung von Buenos Aires. Die argentinische Hauptstadt war in den Siebzigern
und Achtzigern durch die Landflucht extrem schnell gewachsen, für den entsprechenden
Ausbau der Wasserversorgung fehlte aber das Geld. Von rund neun Millionen Einwohnern
waren rund zwei Drittel nicht an das Netz des öffentlichen Versorgungsbetriebes OSN
angeschlossen. Argentinien suchte bei Weltbank und Internationalem Währungsfonds um
Kredite an, um den Ausbau zu finanzieren. Die beiden Organisationen sagten 100 Millionen
Dollar zu, aber nur unter der Bedingung, dass das Unternehmen privatisiert würde.
Dazu muss man wissen: Beide Organisationen werden von Regierungen finanziert, dabei
gilt das Prinzip „Ein Dollar – Eine Stimme“. Europa und die USA zahlen viel ein und haben
daher bei der Vergabe der Kredite entscheidend mitzureden.
OSN war kein maroder Staatsbetrieb, der gerettet werden musste, sondern lieferte im Jahr
vor der Privatisierung noch einen bescheidenen Gewinn ab.
Den Zuschlag erhielt 1993 ein Konsortium, dem enge Vertraute und Unterstützer von
Argentiniens Präsidenten Carlos Menem angehörten, sowie die französische Konzerne Suez
und Vivendi, damals die beiden größten Wasserversorger der Welt. Massives Lobbying der
französischen Regierung ist in diesem Fall verbürgt.
Das Konsortium zahlte nicht einen einzigen müden Franc für OSN. Es erhielt das
Unternehmen praktisch geschenkt, nur gegen die Zusicherung eines umfangreichen
Ausbauplanes und niedriger Wassertarife. Und tatsächlich baute Aguas Argentinas, wie die
privatisierte Firma nun hieß, das Versorgungsnetz schnell aus. Weitere 1,6 Millionen
Menschen erhielten Zugang zu sauberem Wasser. Weltbank, Regierung und Konzerne
feierten die Privatisierung als großen Erfolg und Modellfall für die ganze Welt. Nur einige
Privatisierungskritiker nörgelten, dass vielleicht auch das öffentliche Unternehmen mit 100
Millionen Dollar schöne Erfolge hätte erzielen könnten…
Doch dann kamen die Wirtschaftskrise und der Absturz der argentinischen Währung. Die
Kunden zahlten ihre Rechnungen in Peso, der Konzern seine Kreditraten aber in Dollar und
seine Dividenden in Franc. Je tiefer der Peso sank, desto höher mussten daher die Tarife
werden. Regierung und Regulierungsbehörden wurden unter Druck gesetzt, um
Preissteigerungen durchzusetzen. Der Internationale Währungsfonds verknüpfte sogar die
Zusage für einen Hilfskredit damit. Mitten im totalen Zusammenbruch ihrer Wirtschaft
wurden die Argentinier auch noch durch rasant steigende Wasserkosten belastet.
Dennoch gelang es Vivendi und Suez nicht, die Finanzierungslücke zu schließen. Aguas
Argentinas riss tiefe Löcher in die Konzernbilanzen. Unter der Druck ihrer Aktionäre mussten
sie das Experiment in Argentinien schließlich aufgeben und sich zurückziehen.
Trotz dieses und anderer Privatisierungsdesaster2 drängen die europäischen
Dienstleistungskonzerne auf Fortschritte bei den GATS-Verhandlungen. Der Vorteil liegt auf
der Hand: Es müsste nicht mehr jeder einzelne Markt mit Unterstützung von Regierungen,
Weltbank und Währungsfonds geöffnet werden.
Aber die GATS2000-Runde kommt nicht vom Fleck. Bei der Ministerrunde der WTO im
mexikanischen Cancún kam man im Herbst 2003 kaum dazu, über die Dienstleistungen zu
verhandeln: Die Entwicklungsländer zeigten wenig Interesse daran, schließlich haben sie auf
diesem Feld wenig zu gewinnen. Für Staaten der Dritten Welt und Schwellenländer ist der
Agrarsektor viel entscheidender. Doch die EU und die USA wollten – unter dem Druck ihrer
eigenen Landwirtschaftslobbys – hier keine Zugeständnisse machen. So kam es in Cancún
zum Patt: Die ärmeren Länder mauerten beim GATS, die reichen bei der Landwirtschaft.
Zwei Jahre und viele Gespräche später kam die WTO im Dezember 2005 in Hongkong
wieder zu einer Ministerrunde zusammen. Die Ausgangsposition war nahezu unverändert.
Um Bewegung in die Verhandlungen zu bringen, bot die EU an, den aller ärmsten Ländern
völlig freien Marktzugang zu gewähren. Aber erst, nachdem sie am letzten Verhandlungstag
die Streichung ihrer Exportsubventionen für landwirtschaftliche Produkte bis zum Jahr 2013
in Aussicht gestellt hatte, gelangte man zu einem Minimalkompromiss, der ein völliges
Scheitern der Konferenz (wie in Cancún und 1999 in Seattle) verhinderte.
Ob das für die Entwicklungsländer tatsächlich ein Erfolg oder doch nur ein weiterer Pyrrus-
Sieg war, wird sich erst zeigen. Denn die EU hat gerade so viel geboten, dass bei den GATS-
Verhandlungen nun wieder Spielraum da ist. Entschieden ist noch nichts.
Im Zuge der WTO-Verhandlungen gelingt den europäischen Regierungen und der EU-
Kommission immer wieder eine beachtliche PR-Leistung. Sie schaffen es, ihre Blockade-
Haltung bei Landwirtschaftsthemen medial als Verteidigung der europäischen Landwirtschaft
zu verkaufen. Irgendwie liest sich die Berichterstattung in europäischen Medien meist so, als
würden hier heimische Biobauern gegen einen übermächtigen Weltmarkt verteidigt werden.
Dass das nicht die ganze Wahrheit ist, zeigt gerade das Beispiel der Geflügelindustrie.
Europäische Konsumenten bevorzugen Fleisch von der Hühnerbrust, andere Körperteile wie
Flügel und Beine werden deutlich weniger nachgefragt. Was also damit tun? Tierfutter
machen, zum Beispiel, so lässt sich ein Teil verwerten. Und der Rest, den weder die Europäer
noch ihre Haustiere wollen, den schickt man nach Afrika, zerlegt, tiefgefroren und gut
subventioniert. So kommt es, dass ein Kilogramm Hühnerfleisch aus der EU im Senegal um
0,82 Euro verkauft werden kann, während lokale Kleinbauer beinahe 2 Euro verlangen
müssen, um kostendeckend arbeiten zu können. 2002 haben daher 40 Prozent der
senegalesischen Hühnerzüchter ihren Betrieb ein- oder umgestellt. In der Elfenbeinküste
waren es 25 Prozent. Und warum erlassen die Regierungen dort keine Schutzzölle, um ihre
heimischen Bauern zu schützen? Ganz einfach: Weil das nach dem derzeit gültigen WTO-
Agrarabkommen nicht erlaubt ist3. Die Regeln verbieten es.
Während ich diese Zeilen schreibe, werden die Kanarischen Inseln von einer
Flüchtlingswelle „heimgesucht“. Jeden Tag landen kaum seetaugliche Boot mit dutzenden
halbverdursteter Menschen an den Stränden Fuerteventuras, wo sie von Touristen in
Badehosen und Bikinis erstversorgt werden, bis die Rettung eintrifft. Die EU hat nun mit den
afrikanischen Küstenstaaten kürzlich ein neues Abkommen getroffen.
Nein, der Marktdruck auf die afrikanischen Kleinbauern wurde nicht verringert, sondern die
betroffenen Staaten „erlauben“ nun  Schiffen der spanischen Küstenwache Kontrollfahrten in
ihren Hoheitsgewässern, um die Flüchtlinge rechtzeitig abfangen zu können…
Denn wer das Gold hat, macht die Regel.

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